Gesichter & Geschichten von Angst


                                   ~ Tina & die Depression ~

Tina / *1989 / Depression&Persönlichkeitsstörung /  "Meine Depression hat tausend Gesichter. Von leichter Melancholie bis zum Weltuntergang. Von einer kleinen Grimasse bis zur richtig hässlichen Fratze" /
Tina / *1989 / Depression&Persönlichkeitsstörung / "Meine Depression hat tausend Gesichter. Von leichter Melancholie bis zum Weltuntergang. Von einer kleinen Grimasse bis zur richtig hässlichen Fratze" /

 

 

 

 

Ich betrete die Wohnung und stolpere beinahe über eine kleine rote Kindergießkanne. So eine mit weißem Blümchenaufsatz, mit der auch ich als Kind das Gras im heimischen Garten gegossen habe.  Geöffnet hat mir die Tür eine große, hübsche Frau mit einem schüchternen Lächeln und langem braunen, seidig-glänzendem Haar. Auf ihrem Arm strahlt mir die Sonne entgegen. Klein- K. ist gerade ein Jahr alt geworden und ist ihrer Mama wie aus dem Gesicht geschnitten. K. lacht,  aber genießt die fremde Frau erst einmal mit Vorsicht. Nachdem ich meine Mandarine brüderlich mit der Sonne geteilt habe, darf ich mich nun zu ihren Freunden  zählen.

 

 

Tina kenne ich gefühlt schon ewig. Wir haben uns Ende der 90er- Jahre  ganz klassisch auf einem Spielplatz kennengelernt. Nach durchtriebenen Nächten, rebellisch- angehauchtem Widerstand den Erziehungsberechtigten gegenüber,  Bekanntschaften mit Staatsgewalten und Grenzerfahrungen jeglicher Art, verlor man sich aus den Augen und jeder wandelte seiner Wege, die sich hier und da, mal für mehr oder weniger längere Zeit, kreuzten. Im Oktober 2011 trafen wir uns unter ungewöhnlichen Umständen wieder.  Wir trafen uns im Krankenhaus. Beide mit psychischen Katastrophen konfrontiert. Nach stürmischen Monaten für uns beide,  trennten sich unsere Wege Mitte 2012 erneut.  

 

 

Mein Aufruf, zu der Foto- Serie, von der Tina nun ein Teil ist, hat unsere Wege nach vier Jahren erneut kreuzen lassen. Als Tina mir die Tür öffnet, kann ich ihre Unruhe & Aufregung förmlich spüren. Ich glaube, entgegen ihrer schlimmsten Befürchtungen, war mein Besuch überraschend angenehm für uns beide.

 

 

Tina hat Depressionen. Es gibt Tage die ziehen sich wie Kaugummi, Motivation gleich null, höre ich zwischen  den Zeilen heraus aber man sieht es ihr nicht an. Wenn K. ihrer Mama den, zum Telefon umfunktionierten, Bauklotz an das Ohr hält, spricht Tina mit der imaginären Stimme am anderen Ende der unsichtbaren Leitung und K. strahlt über das ganze Gesicht. Niemand würde vermuten, dass sich hinter der lachenden und humorvollen Erscheinung ein Wald voll Düsternis befindet. Eine Düsternis mit Abstufungen. Mal ist Winter und auf die Düsternis fällt, wie durch  leergefegte  Baumkronen, hier und da ein Sonnenstrahl oder aber man sieht die Hand vor Augen nicht, da die dichten Baumkronen das Licht vom Inneren des Waldes fernhalten. Eigentlich ist ja der Winter bekannt für seine Depressionen und der Sommer für seine Leichtigkeit.

 

Bei Depressionen aber ist alles anders.

 

 

Wir trinken Frühlingstee und beobachten die Sonne, wie sie ihr nicht mehr definierbares Mittagessen (Gemüsebrei) kritisch und alles andere als wohlwollend beäugt und dabei ihre Aufmerksamkeit auf meine, zugegebenermaßen appetitlicher- anmutende, Mandarine schweifen lässt. Nebenbei durchleben wir im Zeitraffer die letzten vier Jahre und Tina lässt mich hinter den unsichtbaren, bleiernen Vorhang ihrer Bühne blicken.

 

 

 

Therapie, Klinikaufenthalte, Gefühlsausbrüche, Momente der Verzweiflung und Ohnmacht im Wechselspiel zu euphorischen Anwandlungen und Empfindungen von Wohlbefinden. Als ich Tina um ein Zitat bitte, welches ihre Gefühle annähernd beschreibt (& diese kann nur derjenige nachempfinden, der selbst die Düsternis, egal in welcher Form, kennt. Alle anderen können sich bemühen es zu verstehen) bekomme ich in der Nacht um 05.00Uhr morgens eine Nachricht.

Die Depression gönnt einem aber auch nicht mal den Schlaf.

 

„Meine Depression hat tausend Gesichter. Von leichter Melancholie bis zum Weltuntergang. Von einer kleinen Grimasse bis zur richtig hässlichen Fratze“,

 

bekomme ich in dieser nächtlichen Nachricht zu lesen.

 

Mich berührt der Text und lässt mich die Schwere, die wie ein dichter Nebel über ihrer Persönlichkeit liegt, erahnen. Tina ist sich aber unsicher. Irgendetwas fehlt ihr dabei noch. Sie sagt „ das klingt als wäre alles schlecht, aber das stimmt nicht“ , denn auch wenn die Depression wie ein Ziegelstein auf ihrem Brustkorb liegt, so gibt es Momente ( und ich wünsche ihr für die Zukunft mehr von diesen Momenten) in denen der Ziegelstein bröckelt und die Leichtigkeit des Lebens für einen Augenblick  auch die richtige Sonne scheinen lässt.

 

 

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Tina & die Sonne
Tina & die Sonne

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